Guten Morgen  erste Seite

1.3.2000 Berliner Morgenpost

(Wir danken der Berliner BVG, die die Philosophinnengedanken dann auch ohne Preisaufschlag bis Ende Mai 2000 mitfahren ließ. Die "Ausstellungsmacherinnen")

VON HENDRIK WERNER

Bislang schien uns kaum etwas weniger poetisch zu sein als eine U-Bahn Fahrt mit den maulfaulen Gebrauchslyriken von der BVG (,‚Beim Eimsteim beilm bip / Eimsteim bip/ Zückbleim bip"). Auch den untergründigen Fahrgastgesprächen, derer wir auf dem Weg zur Arbeit mehr nolens als volens teilhaftig werden (,‚Pass ma uff deine Töle uff" "Pass Du lieba uff, dass de keene uffs Maul krichst" ‚ ermangelt es zwar selten an Lokalkolorit, wohl aber an literarischen Qualitäten.Solch unterirdische Männerprosa zwingt zumal zart besaitete Gemüter, vulgo: Frauen, auf Fahrten durch die Unterwelt zu verzichten. Bis heute. Dank der Initiative Frauenfrühling 2000 werden die U-Bahnen im linden Lenz zu mobilen Ausstellungsräumen des Schönen, Guten und Wahren. In den Zügen der Linien 2, 5, 6, 7 und 8 sollen im Monat März erhabene Elaborate weiblichen Denkens den Vorzug vor erbärmlichen Elegien von, sagen wir: Neuköllner Machos erhalten. Unter dem Motto "Philosophinnen in der U-Bahn" sollen Sätze der griechischen Dichterin Sappho. der deutschen Philosophin Hannah Arendt und der französischen Denkerin Simone de Beauvoir für Sinn und Sinnlichkeit sorgen. Für Denkanstöße sowieso.

Eine feine, eine fällige, eine wichtige Initiative. Vor allem, wenn es zum Äußersten kommen sollte. Und das ginge so: Vermeintlich ruppige Ballonseidenanzugträger und ihre eben noch zähnefletschenden Kampfhunde geraten bei der Lektüre von Zitaten aus de Beauvoirs "Alle Menschen sind sterblich" und Ahrendts "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" in glückliches Grübeln. Und nachdenkliches Nicken. Dann endlich, liebe Fraueninitiative, werden alle Menschen Schwestern.

erste Seite